Agrarpolitische Geschäfte in der Wintersession 2022
Im Parlament stehen in dieser Session gleich mehrere agrarpolitische Geschäfte an. Nach langem Warten wird nun endlich die neue Agrarpolitik AP22+ im Ständerat behandelt. Im Nationalrat versucht derweil die Agrarkonzernlobby ihre Versprechen aus dem Abstimmungskampf um die Pestizid-Initiativen rückgängig zu machen.
(8. Dezember 2022)
In der letzten Woche dieser Session stehen in den Räten gleich mehrere agrarpolitische Geschäfte an. Am umfangreichsten ist die neue Agrarpolitik AP22+, die im Ständerat nun endlich behandelt werden kann, nachdem dieser das Geschäft im Sommer 2020 noch sistiert hatte. Dieses von der Agrarkonzernlobby orchestrierte Bremsmanöver hat nur zu unnötigem Zeitverlust geführt, ohne dass sich mit den geforderten Postulatsberichten inhaltlich etwas substanziell geändert hätte. Nun kann aber die AP22+ mit ihren dringend nötigen Reformen für eine ökologischere und sozialere Landwirtschaft endlich im Ständerat behandelt werden.
Im Nationalrat werden derweil vier Motionen mit Bezug zur Parlamentarischen Initiative «Das Risiko bei der Ausbringung von Pestiziden reduzieren» behandelt. In einer orchestrierten Aktion versucht die Agrarkonzernlobby ihre Versprechen aus dem Abstimmungskampf um die Pestizid-Initiativen rückgängig zu machen und die dringend nötigen Reformen für mehr Ökologie in der landwirtschaftlichen Produktion auszuhebeln. Nachfolgend ein kleiner Überblick über die wichtigsten agrarpolitischen Geschäfte dieser Session.
Botschaft des Bundesrates zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+)
Die Sistierung der neuen Agrarpolitik AP22+ im Ständerat im Herbst 2020 war nur ein Spiel auf Zeit. An der grundsätzlich richtigen Stossrichtung der neuen Agrarpolitik haben auch die geforderten Postulatsberichte nicht viel geändert. Es ist jedoch zu befürchten, dass die dringend nötigen Ergänzungen im Bereich Klimaschutz keine Mehrheit finden werden und griffige Massnahmen zur Anpassung der landwirtschaftlichen Produktion an die Folgen der Klimakrise und zur Reduktion des Treibhausgasausstosses auf den Zeitraum nach 2030 aufgeschoben werden.
Die Annahme der Minderheitsanträge Thorens zu Artikel 2 Absatz 6 und Zanetti zu Artikel 6d des neuen Landwirtschaftsgesetzes sind für eine zukunftsgerichtete Agrarpolitik entscheidend. Der Klimaschutz muss im Sinne der Klimastrategie des Bundes im Landwirtschaftsgesetz verankert werden. Und die Massnahmen des Bundes müssen sowohl zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel als auch zur Reduktion des Treibhausgasausstosses von Landwirtschaft und Ernährung beitragen.
Die Motion 22.4251 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates beauftragt den Bundesrat, den Konzeptvorschlag im Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» zu konkretisieren und dem Parlament bis spätestens Ende 2027 eine diesbezügliche Botschaft zu unterbreiten. Die grundsätzliche Stossrichtung ist zu begrüssen, das Tempo müsste angesichts der dringenden Probleme aber höher sein. Denn wenn die beiden Minderheitsanträge Thorens und Zanetti aus der AP22+ ausgeklammert und entsprechende Punkte erst in der neuen Botschaft 2027 aufgegriffen werden, können Massnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung der landwirtschaftlichen Produktion an den Klimawandel frühestens 2030 umgesetzt werden.
Schliesslich soll im Rahmen der AP22+ eine staatlich subventionierte Ernteversicherung eingeführt werden. Es wäre ein weiterer Fehlanreiz im Subventionsdschungel der Schweizer Agrarpolitik, der nichts zur Versorgungssicherheit der Schweiz und zur Anpassung der Landwirtschaft an die Folgen der Klimakrise beiträgt. Dafür würde aber mit einer Umlagerung von Direktzahlungen dafür gesorgt, dass Bundesgelder an die Versicherungskonzerne fliessen, anstatt dass sie den landwirtschaftlichen Betrieben zugutekommen. Mehr zu staatlich subventionierten Ernteversicherungen und ihren negativen Nebeneffekten für die Landwirtschaft findet sich hier.
Parlamentarische Initiative «Absenkpfad Pestizide» verwässern
Der Nationalrat behandelt gleich vier Geschäfte mit Bezug zur Parlamentarischen Initiative «Das Risiko bei der Ausbringung von Pestiziden reduzieren», die im Vorfeld der Abstimmungen zur den Pestizid-Initiativen als inoffizieller Gegenvorschlag gehandelt und beschlossen wurde. Das strengste Pestizidgesetz Europas – so wurde es vor der Abstimmung versprochen – soll nun auf Druck der Agrarkonzernlobby in zentralen Punkten schon wieder entschärft werden. Unter dem Vorwand des Krieges in der Ukraine wird versucht, die ambitionierten und dringend nötigen Ziele des Bundesrates für mehr Ökologie auszuhebeln und die landwirtschaftliche Produktion ohne Rücksicht auf die Folgen für die Ökosysteme und das Klima weiter zu intensivieren.
Die Motionen Chiesa (22.3567) und Rieder (22.3610) fordern, dass die landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz weiter gesteigert wird. Dafür soll die Schaffung von 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen im Ackerland weiter aufgeschoben werden. Doch gerade im intensiv genutzten Ackerland sind diese Ausgleichsflächen dringend nötig, steht es hier doch besonders schlecht um die Biodiversität.
Die Motionen Salzmann (22.3606) und Gapany (22.3795) zielen auf die beschlossene Reduzierung der Nährstoffüberschüsse um 20 Prozent und fordern, diese lediglich um 10 Prozent zu reduzieren. Bei einer Annahme dieser Motionen würden die Nährstoffüberschüsse aus der tierischen Produktion weiterhin flächendeckend die Böden, Wälder und Gewässer überdüngen, die Biodiversität belasten und überhöhte Nitratwerte im Trinkwasser verursachen.
Der Verweis auf den Krieg in der Ukraine ist reiner Populismus, wäre doch der Effekt einer weiteren Steigerung der Produktion auf den Selbstversorgungsgrad nur sehr gering, die ökologischen Auswirkungen aber dramatisch. Unsere Ökosysteme sind schon jetzt überlastet. Eine weitere Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion – also noch mehr Dünger, Pestizide und Futtermittelimporte – hätte katastrophale Folgen für die Umwelt. Die natürlichen Ressourcen würden weiter übernutzt und die Versorgungssicherheit langfristig gefährdet. Um den Selbstversorgungsgrad der Schweiz langfristig und nachhaltig zu erhöhen, muss bei den 60 Prozent der Ackerflächen angesetzt werden, die gegenwärtig für die Produktion von Futtermitteln verwendet werden. Die vermehrte pflanzliche Produktion für die menschliche Ernährung hätte – neben der Verringerung des Food-Waste – den grössten Effekt auf den Selbstversorgungsgrad der Schweiz.