Mit einer überwältigenden Mehrheit von über 78 Prozent nahm 2017 die Stimmbevölkerung den Verfassungsartikel 104a zur Ernährungssicherheit an. Dieser war der direkte Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament zur «Volksinitiative für Ernährungssicherheit», die 2014 vom Schweizerischen Bauernverband lanciert und angesichts des zufriedenstellenden Gegenvorschlags zurückgezogen worden war. Mit entsprechender Genugtuung reagierte der Verband auf das deutliche Abstimmungsresultat. Der Artikel 104a zur Ernährungssicherheit verlangt vom Bund unter anderem, dass er Voraussetzungen schafft für grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen.

Zollsätze und Kontingente zum Schutz der Schweizer Landwirtschaft

Seit der Abstimmung 2017 wurde dem neuen Artikel zur Ernährungssicherheit nicht viel Aufmerksamkeit zuteil. Doch mit der Beratung der neuen Agrarpolitik AP22+ bietet sich nun die Gelegenheit, diesen klaren Entscheid der Schweizer Bevölkerung zur Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in den grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen auch in die gesetzlichen Grundlagen aufzunehmen. Das naheliegendste Instrument zur Steuerung des grenzüberschreitenden Handels ist der Zollschutz, neben den Direktzahlungen das griffigste Instrument in der Agrarpolitik. Der Schweizer Zollschutz für Agrargüter ist besonders gut ausgebaut, dient bisher aber vornehmlich dem Schutz der einheimischen Produktion. So sind bei der Festsetzung der Einfuhrzölle aktuell nur die Versorgungslage im Inland und die Absatzmöglichkeiten für gleichartige inländische Erzeugnisse zu berücksichtigen. Die Zollsätze und Kontingente werden so festgesetzt, dass die Schweizer Landwirtschaft möglichst wenig konkurrenziert wird und gleichzeitig das Angebot und der Preis dieser Produkte in der Schweiz möglichst stabil bleiben. Je nach Produkt werden dafür die Zollsätze oder Kontingente regelmässig der Saison oder der Preislage auf dem Weltmarkt angepasst.

Der Zollschutz als Instrument zur Förderung der Nachhaltigkeit

Neben diesem Schutz der Schweizer Landwirtschaft vor ausländischer Konkurrenz bietet der stark ausgebaute Zollschutz für Agrargüter aber auch einen geeigneten Hebel, um gezielt die nachhaltige Entwicklung des Schweizerischen Landwirtschafts- und Ernährungssystems zu fördern. Dafür muss Artikel 17 des Bundesgesetzes über die Landwirtschaft dahingehend geändert werden, dass bei der Festsetzung der Einfuhrzölle neben der Versorgungslage im Inland und den Absatzmöglichkeiten für gleichartige inländische Erzeugnisse auch die Nachhaltigkeit der importierten Agrargüter zu berücksichtigen ist. Produkte, die nachhaltig hergestellt wurden, sollen fortan durch einen verbesserten Zugang zum Schweizer Markt besonders gefördert werden, während für nicht nachhaltig hergestellte Produkte der Marktzugang erschwert werden soll. So wird die nachhaltige Produktion in den Herkunftsländern gefördert und gleichzeitig tragen die so gestalteten Handelsbeziehungen direkt zur nachhaltigen Entwicklung der Schweizerischen Land- und Ernährungswirtschaft bei. Indem sie für gleichlange Spiesse sorgen, verhindern sie, dass die Schweizer Nachhaltigkeitsstandards durch importierte Billigware untergraben werden und die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft weiter unter Druck gerät.

Es gibt Handlungsspielraum im WTO-Regelwerk

Wie das in der Praxis umgesetzt werden kann, zeigen die im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 73 «Nachhaltige Wirtschaft» am Centre for Development and Environment CDE der Universität Bern durchgeführten Forschungen. Das Ziel dieses Forschungsprojektes ist aufzuzeigen, wie Staaten in ihren Handelsbeziehungen ohne grossen bürokratischen Aufwand zwischen nachhaltig und weniger nachhaltig produzierten Agrargütern unterscheiden können, ohne dabei wichtige Grundsätze des Handelsrechts – etwa das WTO-Gebot der Nicht-Diskriminierung – zu verletzen. Denn anders als immer wieder und gerne behauptet, besteht innerhalb des WTO-Regelwerks durchaus Spielraum für die einzelnen Staaten, ihre Handelbeziehungen differenzierter zu gestalten und zwischen Produkten zu unterscheiden, die auf unterschiedliche Weise hergestellt wurden. Auch auf EU-Ebene gibt es aktuelle Bestrebungen, diesen WTO-Spielraum besser auszuschöpfen, etwa mit der Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten. Auch die Bestimmungen zum Palmöl im Freihandelsabkommen der EFTA-Staaten mit Indonesien sind ein aktuelles Beispiel, wie Zollbestimmungen WTO-konform an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden können.

Mutlose Politik bringt uns nicht weiter

Der Bund hat den Verfassungsauftrag, die internationalen Handelsbeziehungen so zu gestalten, dass sie zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen. Der Zollschutz im Agrarbereich bietet ein passendes Instrument und im Regelwerk der WTO gibt es durchaus Handlungsspielraum, um diesen Auftrag umzusetzen. Darum habe ich in der Wirtschaftskommission des Nationalrates den Antrag eingereicht, Artikel 17 des Landwirtschaftsgesetzes dahingehend anzupassen und die Nachhaltigkeit von Importprodukten als weiteres Kriterium für die Festsetzung der Einfuhrzölle aufzunehmen. Der Widerstand kommt nun aber aus genau den Kreisen, die diesen Verfassungsauftrag initiiert haben. Und wie bei allen Versuchen, die Importe von Agrargütern und Lebensmitteln nachhaltiger zu gestalten, wird mit einem pauschalen Verweis auf die WTO-Regeln behauptet, das Vorhaben sei nicht umsetzbar. Doch dieser reflexartige und nicht weiter begründete Verweis auf das WTO-Regelwerk ist mutlos und zeugt einzig vom mangelnden Willen zu konkreten Veränderungen. Denn das Interesse dieser Kreise gilt vor allem dem Erhalt des profitablen Status quo in der Schweizer Landwirtschaft, wobei auf eine langfristig nachhaltige Entwicklung des Gesamtsystems keine Rücksicht genommen wird. Aber diese Veränderungen sind dringend nötig und möglich. Uns sind durch die WTO nicht einfach die Hände gebunden – es gibt durchaus Handlungsspielraum, den es für den Aufbau einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft auch zu nutzen gilt.

Link zum Forschungsprojekt am CDE der Universität Bern:
Diversifizierte Ernährungssysteme dank nachhaltiger Handelsbeziehungen