«Geld und Gülle»: Eine Einordnung der unheiligen Allianz zwischen Bauernverband und Wirtschaftsverbänden
«Geld und Gülle» wird das Zweckbündnis des Bauernverbandes mit den Wirtschaftsverbänden genannt, die sich mit vereinten Kräften gegen jeglichen Fortschritt beim Umwelt- und Klimaschutz stemmen. Im Parlament sind Rückschritte bei den ökologischen Reformen zu befürchten, doch ob die unheilige Allianz langfristig tragfähig ist, bleibt abzuwarten.
(23. November 2022)
Anfang Oktober 2022 lancierten die drei Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Arbeitgeber- und Gewerbeverband zusammen mit dem Schweizerischen Bauernverband ihre gemeinsame Kampagne für die nationalen Wahlen 2023. Unter dem Slogan «Perspektive Schweiz» wollen die vier Verbände den «Linksrutsch» der letzten Wahlen rückgängig machen und einer «wirtschafts- und landwirtschaftsfreundlichen Politik» zum Durchbruch verhelfen. Das heisst nichts anderes, als dass sie sich mit vereinten Kräften gegen jeglichen Fortschritt beim Umwelt- und Klimaschutz stemmen werden. Im Parlament sind Rückschritte bei den ökologischen Reformen in der Landwirtschaft zu befürchten. Aber wie wirkmächtig dieses Bündnis langfristig sein wird und welche Seite wirklich davon profitieren kann, muss sich erst noch erweisen. Denn die Sollbruchstellen dieser unheiligen Allianz sind bekannt.
Die Gemeinsamkeit: Interessenvertretung der Grosskonzerne
Die Wirtschaftsverbände, allen voran Economiesuisse, vertreten vor allem die Interessen der Grosskonzerne und waren sich in der Vergangenheit mit den Vertretern der Landwirtschaft nicht immer grün. Dass der Bauernverband nun mit diesen Verbänden zusammenspannt, erstaunt aber nur auf den ersten Blick. Denn es stellt sich schon länger die Frage, wessen Interessen er eigentlich vertritt. Die Politik des Bauernverbands zielt auf eine hochintensivierte, industrielle Landwirtschaft, wovon neben wenigen Grossbetrieben vor allem die Konzerne aus dem Speckgürtel um die Landwirtschaft profitieren: Jedes Jahr werden in der Schweiz sieben Milliarden Franken für Vorleistungen wie Futtermittel, Mineraldünger, Pestizide, landwirtschaftliche Maschinen und Baumaterialien ausgegeben. Eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft wäre weit weniger von solchen Vorleistungen abhängig und entsprechend geringer würden die Profite der Agrarkonzerne ausfallen. Doch das verhindert der Bauernverband mit seiner konsequent auf Intensivierung ausgerichteten Politik. Vor diesem Hintergrund erscheint das Bündnis des Bauernverbandes mit den grossen Wirtschaftsverbänden nur als eine Erweiterung seines Portfolios. Denn als Sprachrohr der Agrarkonzernlobby ist er sich schon länger gewohnt, vornehmlich die Interessen von grossen Konzernen zu vertreten.
Eine Zweckehe, keine Liebesheirat
Als Grund für den Schulterschluss mit den Wirtschaftsverbänden wird immer wieder die von den Umweltverbänden im August 2020, im Vorfeld der Abstimmungen zu den Pestizid-Initiativen, lancierte Kampagne «Agrarlobby Stoppen!» genannt. Doch der eigentliche Grund für die Allianz mit den Wirtschaftsverbänden muss früher gesucht werden. Mit der im Februar 2020 veröffentlichten Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) zielte der Bundesrat endlich in die richtige Richtung. Doch die zahlreichen Massnahmen zur Verbesserung von Ökologie und Nachhaltigkeit in der landwirtschaftlichen Produktion gingen den Agrarkonzernen zu weit, bedrohten sie doch nachhaltig ihr Geschäftsmodell. Die neue Agrarpolitik musste deshalb verhindert werden und dafür brauchten sie Verbündete im Parlament. Da die Mehrheit der Grünen-Bundeshausfraktion an der AP22+ festhalten und sich nicht auf einen schlechten Kompromiss mit dem Bauernverband einlassen wollten, musste man die Verbündeten woanders finden. Dafür bot sich der Freisinn an, der vor einem heissen Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungs-Initiative stand und selber dringend Verbündete suchte. Der Kuhhandel war schnell geschlossen: Die AP22+ wurde im Ständerat mit Unterstützung des Freisinns sistiert, dafür fasste der Bauernverband gegen Widerstand in den eigenen Reihen die Nein-Parole zur Konzernverantwortungs-Initiative, welche schliesslich am Ständemehr scheiterte.
Ein ungleiches Paar
Die Allianz mit den Wirtschaftsverbänden ist nur die institutionalisierte Fortsetzung dieses Kuhhandels mit dem Freisinn. Beide Seiten versprechen sich viel von diesem Bündnis: die angeschlagenen Wirtschaftsverbände hoffen auf die geballte Kampagnenkraft des Bauernverbandes, die ihren Anliegen an der Urne endlich wieder zum Erfolg verhelfen soll. Der Bauernverband erwartet dafür weniger liberalen Widerstand bei der Ausgestaltung der Agrarpolitik und schielt sicher auch auf die prall gefüllten Kampagnenkassen der Wirtschaftsverbände. Aber schon die Feuertaufe bei der ersten gemeinsam geführten Abstimmungskampagne fiel durchzogen aus. So konnten zwar die AHV-Vorlagen knapp gewonnen und die ohnehin chancenlose Initiative gegen Massentierhaltung versenkt werden. Doch dem Bauernverband gelang es offenbar nicht, seine Basis von Steuersenkungen für Grosskonzerne zu überzeugen. Dem Kernanliegen der Wirtschaftsverbände, der Abschaffung der Verrechnungssteuer, konnten auch die an zahlreichen Höfen und Feldrändern aufgestellten Vogelscheuchen-Plakate nicht zum Durchbruch verhelfen.
Der ökologische Rückbau hat schon begonnen
Zusagen und Versprechen zu mehr Ökologie und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, die unter dem Druck der Pestizid- und Trinkwasserinitiative gemacht wurden, versucht die Allianz nun Stück für Stück auszuhebeln und rückgängig zu machen. So sollen die Phosphor- und Stickstoffüberschüsse nur noch um 10 und nicht um 20 Prozent gesenkt werden. Und dass neu auch im intensiv genutzten Ackerland 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auszuscheiden sind, soll unter dem Vorwand des Krieges in der Ukraine sogar ganz aufgehoben werden. Mit diesem kompromisslosen Verhindern ökologischer Fortschritte und dem Bestreben, Zugeständnisse und Versprechen aus Abstimmungskämpfen nachträglich im Parlament wieder auszuhebeln, dürfte sich der Bauernverband langfristig keinen Gefallen machen, provoziert er so doch nur die Lancierung von weiteren agrarpolitischen Initiativen.
Der langfristige Erfolg der unheiligen Allianz muss sich erst noch erweisen
Im Parlament konnte zwar die neue Agrarpolitik AP22+ verzögert werden und nun wird versucht, die Versprechen aus den Abstimmungskämpfen rückgängig zu machen. Doch ob die unheilige Allianz zwischen Bauernverband und den Wirtschaftsverbänden langfristig Erfolg haben wird, ist offen. Spätestens wenn wieder eine Debatte über Freihandel und Zollschutz ansteht, dürften sich die ungleichen Partner in den Haaren liegen. Bis dahin wird es aufgrund des zu erwartenden Powerplays im Parlament einen grossen Effort brauchen, damit der Flurschaden beim Umwelt- und Klimaschutz nicht allzu gross ausfällt und die neue Agrarpolitik mit den dringend nötigen ökologischen Reformen endlich beschlossen werden kann. Dass bis zu den Wahlen 2023 mit weiteren Winkelzügen zu rechnen ist, zeigt schon der ungewöhnlich frühe Kampagnenstart von «Perspektive Schweiz»: Die Geld-und-Gülle-Allianz kann so die neuen Transparenzregeln, die Mitte Oktober 2022 in Kraft traten und für die Wahlen 2023 erstmals zur Anwendung kommen, umgehen und muss ihre Kampagnenfinanzierung nicht offenlegen.