Auf den ersten Blick scheint sich die Agrarkonzernlobby bei den grossen agrarpolitischen Geschäften im Parlament und an der Urne auf der ganzen Linie durchgesetzt zu haben. Die neue Agrarpolitik AP22+, mit der endlich die dringend nötigen Reformen für eine nachhaltigere und ökologischere Landwirtschaft hätten angepackt werden sollen, wurde sistiert. Ein Kuhhandel mit dem Freisinn auf Kosten der Konzernverantwortungs-Initiative brachte im Parlament die nötigen Stimmen. Die Pestizid-Initiative und die Trinkwasser-Initiative wurden in einem äusserst gehässigen Abstimmungskampf gebodigt. In seiner hitzig geführten Kampagne vergass der Bauernverband sein Engagement für das von ihm eigentlich unterstützte CO2-Gesetz, welches daraufhin ebenfalls an der Urne scheiterte. Schliesslich kündigte sich mit der parlamentarischen Beratung der Massentierhaltungs-Initiative schon die nächste grosse Schlacht um die Agrarpolitik an. Obwohl der Bundesrat den Handlungsbedarf beim Tierwohl erkannt und einen Gegenvorschlag erarbeitet hatte, soll die Initiative nun ohne Gegenvorschlag an die Urne kommen. Der Kompromissvorschlag der Kleinbauern-Vereinigung und des Schweizerischen Tierschutzes, mit einem indirekten Gegenvorschlag einen Ausbaupfad Tierwohl auf Gesetzesstufe zu verankern, wurde ebenfalls abgelehnt, obwohl eine breite Allianz von den Tierärztinnen und Tierärzten bis zum Detailhandel das Anliegen unterstützte.

 

Erfolge stehen im Kleingedruckten

In dieser Serie von Niederlagen zeigen sich bei genauerem Hinschauen aber auch Erfolge, die langfristig wirkmächtiger sein werden, als die kompromisslose Verhinderungspolitik des Bauernverbandes. Die zwei Agrarinitiativen haben eine intensive Debatte über die Verantwortung der Landwirtschaft für den Schutz der Ökosysteme und unserer Gesundheit ausgelöst. Die Berichterstattung über Nährstoffüberschüsse und Pestizidrückstände im Grundwasser hat in der Bevölkerung das Bewusstsein für die schädlichen Folgen der intensiven Produktion gestärkt und öffentlichen Druck aufgebaut, endlich ökologische Reformen anzupacken.

 

Die im Vorfeld der Abstimmung in den Räten behandelte parlamentarische Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» wurde unter diesem öffentlich-medialen Druck in den Rang eines inoffiziellen Gegenvorschlags erhoben. Und gegen heftigen Widerstand von bürgerlicher Seite konnten wichtige Anliegen der sistierten Agrarpolitik AP22+ in die Parlamentarische Initiative aufgenommen werden. So sollten neben dem Pestizideinsatz nun auch die Nährstoffbelastung der Böden und Gewässer deutlich reduziert und die Biodiversitätsförderflächen erweitert werden.

 

Die strategische Zustimmung des Bauernverbandes zu diesem «strengsten Pestizidgesetz Europas» wich nach der Ablehnung der Agrarinitiativen an der Urne aber schon wieder heftiger Kritik. Trotzdem blieb der Bundesrat bei der Umsetzung standhaft und hielt seine Versprechen aus dem Abstimmungskampf. Mit den neuen, ab 2023 geltenden Bestimmungen weht nun ein anderer Wind: Die mit dem Einsatz von Pestiziden verbundenen Risiken sollen bis 2027 um 50 Prozent reduziert werden. Dazu sieht das Verordnungspaket «für sauberes Trinkwasser und eine nachhaltige Landwirtschaft» vor, dass Pestizide, deren Wirkstoffe ein hohes potenzielles Risiko aufweisen, ab 2023 grundsätzlich nicht mehr verwendet werden dürfen. Zudem werden finanzielle Anreize geschaffen, damit generell weniger Pestizide eingesetzt werden. Die Nährstoffverluste sollen bis 2030 um mindestens 20 Prozent reduziert werden. Dafür wird unter anderem ab 2024 die Toleranzgrenze von 10 Prozent abgeschafft, die bei der Berechnung der Düngerbilanz bisher gegolten hatte. Kraftfutter- und Düngerlieferungen sowie der Verkauf und die Verwendung von Pestiziden müssen künftig besser dokumentiert und kommuniziert werden. Mit dieser Datengrundlage sollen die Landwirtschaftsbetriebe ihre Betriebsbilanz verbessern und der Bund die weiteren Massnahmen zur Erreichung der Umweltziele effizienter gestalten können. Schliesslich müssen bis 2024 die gegenwärtig bestehenden 1,2 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf Ackerland auf mindestens 3,5 Prozent erhöht werden. Bisher liegt der grösste Teil dieser Förderflächen in Randzonen, doch gerade im intensiv genutzten Ackerland sind sie für die Biodiversität besonders wichtig.

 

Rückzugsgefecht der Agrarkonzernlobby

Über die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieser Massnahmen herrscht wissenschaftlicher Konsens und in weiten Kreisen der Bevölkerung sind sie unbestritten. Selbst der opportunistische Versuch der SVP, unter dem Vorwand des Krieges in der Ukraine die ökologischen Reformen zu stoppen, die Landwirtschaft weiter zu intensivieren und auch die Biodiversitätsförderflächen unter den Pflug zu nehmen, konnte deshalb die geplanten Massnahmen nicht verhindern. Die populistische Forderung nach einem Plan Wahlen 2.0 fand weder in der Bevölkerung noch beim Bundesrat Gehör.

 

Die intensive Produktion schädigt jetzt schon die Böden, Gewässer und Ökosysteme und gefährdet damit langfristig unsere Versorgungssicherheit. Nur wenn wir die natürlichen Ressourcen schonen, wird auch künftigen Generationen eine produzierende Landwirtschaft möglich sein. Die wortgetreue Umsetzung der parlamentarischen Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» ist ein weitreichender Erfolg auf diesem Weg.

 

Demgegenüber verkennt die Agrarkonzernlobby die Zeichen der Zeit und politisiert zunehmend an der Bevölkerung vorbei. Mit ihrer rückwärtsgewandten und kompromisslosen Politik konnte sie die grossen ökologischen Reformen in der Agrarpolitik zwar verhindern, doch der stete Wandel hin zu mehr Ökologie und Nachhaltigkeit lässt sich nicht aufhalten. Die laute und kompromisslose Politik der Agrarkonzerne und ihrer Vertreter in der Politik entpuppt sich deshalb zunehmend als Rückzugsgefecht.